GM Hajo Hecht spielte simultan gegen 41 Gegner
Der Schachklub Tempelhof 1931 e. V. (SKT) begeht in diesem Jahr sein 75jähriges Jubiläum, anläßlich dessen er verschiedene Sonderveranstaltungen durchführt. Die vielleicht interessanteste davon war die Simultanvorstellung des Großmeisters Hans-Joachim Hecht, des prominentesten Mitglieds des Schachklubs Tempelhof, dem er seit 1953, also bereits über ein halbes Jahrhundert, angehört. Unter der Schirmherrschaft des Bezirksverordnetenvorstehers von Tempelhof-Schöneberg Rainer Kotecki trat er am Sonntag, dem 21. Mai 2006 um zehn Uhr vormittags im Casino des Rathauses Schöneberg gegen nicht weniger als einundvierzig Gegner an.
Anläßlich des Jubiläums wurde SKT-Mitgliedern und Gästen nicht das sonst übliche Startgeld abverlangt, denn Hajo Hecht spielte für seinen alten Klub ohne Honorar. Auch die zu gewinnenden Preise waren eher symbolischer Natur, der Schirmherr stiftete zwei – wie er sagte kleine aber feine – von der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) hergestellte Porzellanteller, und ELEKTROSCHACH beteiligte sich mit einer Reihe von Schachbüchern. Außerdem überreichte Rainer Kotecki dem Großmeister und dem SKT-Vorsitzenden Hans-Peter Ketterling je eine Flasche des „Schöneberger Nahefreundes“, eines aus Berlin stammenden Weines des Jahrgangs 2005. Kaum jemand weiß übrigens, daß Berlin eines der nördlichsten deutschen „Weinanbaugebiete“ ist. Zuzüglich erhielt der Vorsitzende ein kürzlich erschienenes Büchlein über die Geschichte Tempelhofs sowie eine Krawatte, die mit dem Emblem der vereinigten Bezirke Tempelhof und Schöneberg geschmückt ist. Schließlich konnte er die Glückwünsche des Schirmherrn und der Ehrengäste zum 75jährigen Bestehen sowie die besten Wünsche zum weiteren Gedeihen des SKT entgegennehmen.
Außer dem Schirmherrn waren der Ehrenpräsident des Berliner Schachverbandes Alfred Seppelt und dessen Nachfolger und derzeitiger Präsident Dr. Matthias Kribben sowie der Vorsitzende der Fachvereinigung Schach Hartmut Mahlkow als Ehrengäste erschienen. Letzterer ließ es sich nicht nehmen gegen den Großmeister anzutreten, und seine Frau Karola half freundlicherweise den SKT-Damen am Büffet.
Hecht hatte an allen Brettern Weiß, wobei die Partie gegen den Internationalen Fernschachmeister Hartmut Grabinger, der dem SKT auch schon über vier Jahrzehnte angehört, auf einem knapp 8 qm messenden Gartenschachspiel ausgetragen wurde, damit die Zuschauer sie besser verfolgen konnten. Die durchschnittliche Spielstärke der Simultangegner, außer den Tempelhofer Spielern waren auch viele aus anderen Vereinen und Betriebsschachgruppen gekommen, lag bei knapp 1600, wobei fünf Spieler sogar um 2000 lagen, harte Nüsse für den Simultanspieler.
Ursprünglich war eine Spieldauer von etwa viereinhalb Stunden angesetzt, der Großmeister brauchte jedoch rund sechs Stunden, bis die letzte Partie beendet war. Das lag teils an der zähen Gegnerschaft, teils wohl aber auch an der zu kurzen Nachtruhe, denn der Abend zuvor, den die Ehepaare Hecht und Ketterling bei einigen Flaschen Wein verbracht und dabei über alte SKT-Zeiten, gemeinsame Bekannte und sonstige Schachthemen geplaudert hatten, war sehr lang geworden.
Interessant ist der Zeitverbrauch. Für die ersten zehn Züge bzw. Runden benötigte der Großmeister nur rund eine dreiviertel Stunde, denn viele Partien verliefen längere Zeit in bekannten theoretische Bahnen – Routine für den Simultanspieler. Für die nächsten zehn Runden waren es dann zwei Stunden und zwanzig Minuten, weil sich viele Partien in der kritischen Phase befanden und dem Meister mehr Aufmerksamkeit abverlangten, aber die folgenden zehn Runden wurden schon etwas schneller in knapp zwei Stunden bewältigt. Weitere zehn Runden wurden dann in nur noch etwa fünfzig Minuten absolviert, denn viele Partien waren bereits entschieden, andere technisch klar oder bereits in übersichtliche Endspiele übergegangen. In dieser Phase begann der psychologische Vorteil des Simultanspielers eine größere Rolle zu spielen, weil seine Gegner pro Zug zunehmend weniger Bedenkzeit hatten und zudem sofort ziehen mußten, wenn der Meister ans Brett trat – was sie in schwierigen Stellungen gehörig unter Druck setzte. Die restlichen Partien gingen deshalb sehr schnell zuende.
Eine Episode am Rande: Im April 1974 führte der Schachklub Tempelhof erstmals „Schach im Rathaus“ – damals im Rathaus Tempelhof – durch, eine Schachwerbeveranstaltung, die interessierten Tempelhofer Bürgern Einblick in das Vereinsleben und den Spiel- und Trainingsbetrieb des SKT geben soll, und seit 2001 wieder regelmäßig alle zwei Jahre zum gleichen Zweck durchgeführt wird. Damals spielte Hajo Hecht gegen fast die gleiche Gegnerzahl, nämlich vierzig, und gab nur einen einzigen Punkt ab, und zwar durch Aufgeben der Partie schon im neunzehnten Zug nach dem Übersehen eines kombinatorischen Materialverlusts ausgerechnet gegen den gegenwärtigen SKT-Vorsitzenden, der auch diesmal mitspielte und sich tapfer aber vergeblich seiner Haut wehrte, nach langer Defensive und neununddreißig Zügen einen entscheidenden Endspielnachteil hinnehmen und im fünfzigsten Zug schließlich die Waffen strecken mußte. Somit konnte der Großmeister nach über drei Jahrzehnten endlich „Rache nehmen“. Da Hecht Berlin schon in den Siebzigern verlassen hatte, ergab sich vorher dazu allerdings auch keine andere Gelegenheit.
Am Ende hatte sich der Großmeister auf dem Gartenschach gegen Grabinger und in sieben weiteren Partien gegen Franke, Häusler, Nüske, Penners, Sagasser, Spahrmann, und O. Ritz geschlagen geben müssen, und in sechs Partien kam er gegen Lange, Lohmar, Oppermann, L. Ritz, Schiemann und Wolff nicht über ein Remis hinaus. Mit 30 : 11 hatte er gegen eine zähe Gegnerschaft den Kampf schließlich aber doch überlegen gewinnen können. Hecht nimmt Simultanvorstellungen stets von der lockeren Seite und zeichnet sich zudem durch ungewöhnliche Fairneß aus, verdorbene Partien gibt er ohne viel Federlesens auf, ohne den Gegner zum Beweis zu zwingen, daß er die Partie tatsächlich für sich entscheiden kann, was öfter dann doch nicht gelingen dürfte.
Für die glücklichen Gewinner gab es interessante und repräsentative Schachbücher als Belohnung, und diejenigen, die ein Remis erstreiten konnten, bekamen jeder ein kleines Büchlein, das teilweise aus Hechts Feder stammte und in das sich die meisten dann auch ein Autogramm des Meisters geben ließen. Der SKT-Vorsitzende schloß die Veranstaltung mit einem Dank an den Großmeister, der dieses Ereignis erst möglich gemacht hatte und dazu extra nach Berlin gekommen war, an alle Teilnehmer, die sich tapfer und teilweise recht erfolgreich geschlagen hatten, und vor allem an seine Helfer, die im Hintergrund für die Vorbereitung und den reibungslosen Ablauf gesorgt hatten.
Am Nachmittag und Abend wurde dann für Hajo Hecht und seine Gattin, die Ehrengäste und die SKT-Mitglieder vom Vorsitzenden und seiner besseren Hälfte eine Gartenparty mit Grillen und Gartenschach gegeben, die gleichzeitig die Aufstiegsfeier der vierten Mannschaft des SKT war und buchstäblich fast ins Wasser gefallen wäre. Glücklicherweise blieb es trocken, und gegen die Kühle hatte man sich durch passende Kleidung gewappnet. Vom Schachspielen hatten für diesen Tag nach der langen Spielzeit aber alle genug, das Gartenschach blieb unberührt und es verlangte auch niemand danach, Blitzschach zu spielen. Das Büffet und der Grill sowie Bier und Wein sorgten bei interessanten Gesprächen trotzdem für das Wohlbefinden aller und schließlich für einen schönen Tagesausklang.
Hans-Peter Ketterling