Nach 1.e2-e4, d7-d5 2. e4xd5, Dd8xd5 entsteht die sogenannte Skandinavische Eröffnung. Diese gehört zu einer der ältesten Eröffnungen überhaupt (erwähnt als „Zentrales Kontergambit“ von L. Lucena Ende 15. Jahrhundert) und hatte bis in die 80er Jahre einen schlechten Ruf. Dies lag zum einen daran, dass Weiß relativ schnell einen Entwicklungsvorsprung erhält und Schwarz gleich mit Dd8xd5 gegen zwei der elemtarsten Eröffnungsregeln verstößt: „Ziehe mit keiner Figur doppelt“ und „Ziehe die Dame nicht so frueh“.
Auf Meisterebene kam diese von dänischen und schwedischen Theoretikern (Namensursprung Skandinavisch) untersuchte Eröffnung kaum vor. Erst als der dänische Weltklasseschachspieler Bent Larsen anno 1779 den damals amtierenden Weltmeister Anatoly Karpow besiegte, wurde „B01“ (enzyklopädische Eröffnungskennziffer) auch auf Großmeisterebene salonfähig. In einem Weltmeisterschaftsmatch wurde Skandinavisch nur ein einziges Mal (!) in der Partie Kasparov – Anand (New York 1995) gespielt, wobei der indische Figurenkünstler aus der Eröffnung sogar mit einem Vorteil herauskam. In Larsens Fußstapfen folgten u.a. der kreative australische Großmeister Ian Rogers, der Däne Curt Hansen und der Hamburger Mathias Wahls. Wahls trug mit seinem Skandinavisch Buch („Modernes Skandinavisch, SBN: 3-935748-00-0, 302 Seiten, 1997) hierzulande wesentlich zur Popularisierung dieses schachlichen „Wikinger“ bei. Das sich Skandinavisch im Amateurbereich so beliebt zeigt ist beileibe kein Zufall, die zu benennenden Vorteile sind:
- leicht zu lernen und positionell gesund
- besonders gut geeignet gegen stärkere Spieler
- alle Leichtfiguren können problemlos entwickelt werden
- Schwarz hat von Beginn an mit dem Bauern auf d4 ein klares Angriffsziel
- hinter einer soliden Bauernstruktur kann sowohl klein als auch groß rochiert werden
- für positionell oder angriffsorientierte Spieler gleichermaßen geeignet
„Die Wahls-Mauer“
Der Hamburger Schachprofi behandelt in seinem bereits benannten Buch die Variante mit 3. Sb1-c3 und nachfolgend Dd5-a5. Die schwarze Grundstellung zeigt sich nach 8 ..Sbd7 beispielhaft in folgender Partie:
Deckt Weiß das „Sorgenkind“ Bd4 mit c3, dann ist ähnlich wie in der Caro Kann Verteidigung der Vorstoß c5 gut. Da sich Weiß den Isolani auf d4 nicht gut leisten kann, muss er auf c5 tauschen. Daraufhin spielt Schwarz nach dem Muster a7-a6 und b7-b5 auf einen Minoritätsangriff (Minderheitenangriff) am Damenflügel.
„Bronsteins Vermächtnis“
Von dem 2006 verstorbenen David Bronstein (sowjetischer Schachgroßmeister, in den 50er Jahren knapp am Weltmeistertitel gescheitert) stammt die provokannte Idee die Dame im dritten Zug statt nach a5 nach d6 zu stellen. Diese Variante lag lange Zeit im schachmeisterlichen Dornröschenschlaf und wurde erst Ende der 90er Jahre vom Ex-Jugendweltmeister Bojan Kurajica häufig mit Erfolg gespielt. Nach den weiteren Zügen Sg8-f6 und a7-a6 ergibt sich nach dem 5. Zug Grundstellung wie in nachfolgender Partie:
Die weitere Entwicklung des Schwarzen richtet sich nach der Entwicklung des Läufer f1. Die schwarze Vorgehensweise kann man in vier Entwicklungsmuster aufteilen:
- 1. Spielt Weiß Ld3, so empfiehlt es sich mit g7-g6, Lf8-g7, kleiner Rochade nebst Sb8-c6 Druck auf Bd4 auszuüben.
- 2. Nach Le2 kann Schwarz ebenfalls mittelsLg4, Sc6 und langer Rochade den weißen Zentrumsbauern aufs Korn nehmen, frühes h3 wird am besten mit b5 und Lb7 beantwortet.
- 3. Auf das aktive Le4 spielt der Nachziehende b7-b5 und entwickelt seine Stellung nach dem Sizilianischen Muster: Lb7, e6, Le7, Sbd7, 0-0, nebst dem wichtigen Vorstoß c5!
- 4) das passiv aussehende g3 nebst Lg2 stellt erstaunlicherweise die beste Methode gegen Bronsteins extravaganten Zug Dd6 dar. Da sich der unter 3. genannte sizilianische Aufbau in der Praxis nicht bewährt hat, lautet meine Empfehlung sich wie unter 2. mit Lg4, Sc6 und langer Rochade aufzubauen. Ziel des Schwarzen ist mit dem Vorstoß e5 ein günstiges Endspiel anzustreben.
Eine Alternative zu der a6-Variante ist das vom Weltklassegroßmeister Sergey Tiviakov bevorzugte c6., die Idee ähnelt dem Da5 – Skandinavier, Schwarz möchte mittels Lg4, e6, Sbd7 und langer Rochade Druck auf den Bd4 ausüben.
„Der trickreiche Skandinavier“
In dieser vom russischen Meisterspieler 1960 ausgearbeiteten Variante nimmt Schwarz nicht sofort auf d5 wieder, sondern entwickelt mit 2.-, Sg8-f6 eine Figur. Diese Variante, die als sehr solide gilt, ist eher etwas für flexibel eingestellte Schachgeister und bietet eine Vielzahl von kreativen Möglichkeiten:
In obiger Partie zeigt sich der Preis für die Verteidigung des Bd5, nach 3.c2-c4 kontert Schwarz günstig mittels 3. -,c7-c6 und übernimmt die Initiative. Nimmt weiß aufc6 hat Schwarz nach Sb8xc6 und nachfolgend e7-e5, Lf8-c5, Lc8-g4 nebst Besetzung der d-Linie einen großen Entwicklungsvorsprung. Aber mit dieser Zugfolge muss Schwarz bereit sein nach 3.-, c7-c6 4.d2-d4 die sogenannte Panov-Variante zu spielen. Eine Nebenvariante der Aljechin Verteidigung ensteht nach 3. Sc3, Sd5: 4.Lc4 und auf 3. Lb5+ kann Schwarz mit Sbd7 4.c4, a6 5. La4 im Benkö Stil mit b5 einen Bauern opfern.
Die Hauptvariante beginnt mit 3. d4, Sd5: (3.-, Lg4!? ist die sogenannte Portugiseische Variante und ideal um frühe Verwicklung zu schaffen: z.B. wird das materialistische 4. f3, Lf5 5.c4?! mit e6! 6.de6, Sc6 und großem Entwicklungsvorsprung bestraft). 4.c4, Sb6 5.Sf3, (nach 5.Sc3, gleicht Schwarz das Spiel mit e5! aus). Es entsteht nun Grundstellung wie in folgender Partie nach 5. Sc3
Abweichend von obiger Partie, die Schwarz verlor ergeben sich mit 5. – g6, Lg7 nebst Springer c6 Drucksituationen auf das Weiße Zentrum, zu berücksichtigen ist, das der Lc8 bei frühem h2 mittelfristig kein so gutes Feld hat.
Das ultrasolide Lg4 mit der Absicht den Bd4 zu attackieren mit e6, Sc6, Le7-Lf6 schafft druckvolles Spiel.
Viel Vergnügen mit dem „Wikinger“ wünscht euch
Jürgen Brustkern
Fortsetzung folgt am 17.05.2024 …
Literatur:
- Mathias Wahls „Modernes Skandinavisch“ (Band 1 erschienen 1997, Band 2 erschienen 2007)
- Curt Hansen „Skandinavisch“ – DVD, erschienen bei Chessbase 2001
- Jovanka Houska „skandinavisch“ Everyman Chess 2009