Trauer um Alfons Henske

Trauer um Alfons Henske

Der persönliche Rückblick eines langjährigen SKT-Weggefährten.

Alfons Henske

Am 23. Mai dieses Jahres ist er achtzig Jahre alt geworden, und im nächsten Mai hätte er sage und schreibe auf eine sechzig Jahre währende und äußerst aktive Mitgliedschaft im Schachklub Tempelhof zurückblicken können. Das aber sollte er nicht mehr erleben dürfen, denn am Sonntag, dem 25. Oktober hat uns Alfons Henske nach kurzer schwerer Krankheit für immer verlassen. Er musste in seinem letzten Lebensjahrzehnt leider einige gesundheitliche Einschränkungen hinnehmen, was ihn, den früher rastlosen Willensmenschen und unermüdlichen Gestalter, zutiefst verstimmte und wehmütig auf aktivere Zeiten zurückblicken ließ. Es waren aber nicht die ihm schon länger drohenden gesundheitlichen Einschränkungen, die sich verschärft und ihn überraschend so schnell aus unserer Mitte gerissen haben, sondern eine heimtückische neue Erkrankung.

Alfons war ein passionierter und guter Schachspieler, der sechs Jahrzehnte nicht nur aktiv, sondern auch durchdacht und originell aber immer gefährlich spielte. Er baute sich zunächst gern etwas zurückhaltend auf, ich spottete deshalb immer wieder, dass er immer Schwarz spielte, egal welche Farbe er hatte. Man durfte ihn jedoch keinesfalls unterschätzen, denn er wartete nur darauf, nach einigen Stunden Spielzeit im rechten Augenblick die Stellung zu öffnen und dem Gegner Probleme zu bereiten. Eine anspruchsvolle Spielweise, die Zeit und Kraft kostete und ihm immer wieder Zeitnotduelle bescherte. Ich neckte in deshalb gern mit dem Spitznamen „Zeitnot-Henske“.

Meinen Spötteleien begegnete er stets mit freundlicher Gelassenheit, was ihn jedoch nicht davon abhielt zu versuchen, mir bei den unzähligen Turnierpartien, die wir gegeneinander austrugen, das Fell über die Ohren zu ziehen – oft genug erfolgreich, weil er eben doch tiefer gerechnet hatte. Aber nicht nur in den Klubturnieren war er bis auf die allerletzten Jahre stets präsent, sondern auch als Mannschaftsspieler war er unverzichtbar. Als Stammspieler hat er den Schachklub Tempelhof all die Jahre in der Berliner Mannschaftsmeisterschaft bis zum Ende der letzten Saison unterstützt.

Alfons brachte 1972 seinen Sohn Carsten mit in den Klub, der lange Jahre bei uns spielte und eine seinem Vater etwa gleichwertige Spielstärke erreichte. In Deutschlands Schicksalsjahr 1989 errang er sogar die Pokalmeisterschaft des Schachklubs Tempelhof. Ausbildung und Beruf forderten jedoch ihren Tribut, und so verließ er uns dann 1999 leider wieder.

Für unseren Klub und schließlich auch für den Berliner Schachverband war Alfons aber weniger als Schachspieler von Bedeutung, sondern vor allem durch seine organisatorischen Fähigkeiten und seinen unermüdlichen Einsatz als Funktionär in verschiedenen Ressorts. Alfons, der Steuerfachmann, Rechtsberater und leidenschaftliche Organisator, hat den Schachklub Tempelhof schon früh auf eine gut geordnete Basis gestellt. Vielen erschien seine Vorgehensweise zu formal, ja geradezu pingelig, aber dass das alles wohlerwogen war, merkte man erst dann, wenn etwas schief ging, beispielsweise in den Jahren, in denen seine feste Hand der Leitung des Klubs fehlte.

Alfons Henske und H.-P. Ketterling, SKT-Mitgliederversammlung 2005

Er hatte im Laufe der Zeit verschiedene Funktionen im Vorstand des Schachklubs Tempelhof inne. 1961 wurde er Spielleiter und Kassenwart, von 1962 bis 1964 war er Geschäftsführer und Kassenwart und gab die Spielleitung deshalb ab. 1969 übernahm er dann das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden, ein Jahr später wechselte er in das Amt des Schriftführers, zu dem er dann 1972 das des Kassenwarts hinzunahm. Von 1973 bis 1975 leitete er die Geschäftsstelle des Schachklubs Tempelhof und war zudem als Kassenwart tätig, nun Schatzmeister genannt. Nach kurzer Pause übernahm er 1975 erneut die Geschäftsstelle, zog sich im Jahr darauf jedoch wieder zurück, denn inzwischen war er sehr intensiv im Berliner Schachverband engagiert. 1989, das Jahr der Wende, sah ihn dann den Vorsitz des Klubs übernehmen, den er bis 2000 inne hatte. Von 1990 bis 2005 war er erneut Schatzmeister des Schachklubs Tempelhof.

Mit viel Liebe und Hingabe kümmerte er sich um die Klubzeitung. Er hatte die Einrichtung einer kleinen Druckerei erworben und gab zusammen mit dem unvergessenen Willi Koch 1973/74 die Nr. 28 bis 32 der Zeitung im DIN A4-Format und unübertroffener Buchdruckqualität heraus Alfons gab ihr auch den heutigen Namen Tempelhofer Schachblätter, nachdem sie ursprünglich mit dem schlichten Titel Schachklub Tempelhof 1931 e.V. gegründet und später im Tempelhofer Schachmosaik umgetauft worden war. Von 1989 bis 2000 gab er dann die Hefte Nr. 78 bis 108 im handlicheren DIN A5-Format heraus. Insgesamt hat er an rund einem Viertel aller bisher erschienen Hefte mitgewirkt und die überwiegende Mehrzahl davon komplett selbst gestaltet.

An den vielen Schachreisen nach Kiel, die er zusammen mit einigen Klubkameraden jeweils über den 1. Mai zu einem Abstecher zu seinem Anwesen in Humtrup nutzte, habe ich leider nie teilnehmen können, weil sie sich mit meinem Geburtstag überschnitten, den ich stets im Kreise meiner Familie und mit zahlreichen Freunden und Bekannten feierte, was ich nicht missen wollte. Diese und auch die anderen von ihm organisierten Reisen sind allen Teilnehmern in guter Erinnerung geblieben und gehörten zweifellos mit zu den Höhepunkten unseres Vereinslebens. Als ich kürzlich das letzte Mal mit ihm telefonierte, ich wollte den lang verabredeten Interviewtermin zur Geschichte des Schachklubs Tempelhof und seinem eigenen Wirken dort endlich mit ihm abstimmen, sagte er mir traurig, dass er im Augenblick dazu keine Neigung hätte, weil ihn der Verkauf seines Anwesens in Humtrup zu sehr beschäftigte. Zu diesem Interview ist es dann leider nicht mehr gekommen, und ich wusste so wenig wir er, dass dies unser letzter Kontakt war.

Viele Mitglieder ahnten nicht einmal, dass er neben einem unglaublichen Arbeitspensum den Verein auch mit Sach- und Geldspenden unterstützte ohne je Aufhebens davon zu machen. Kurzum, er war für Jahrzehnte die Seele des Vereins, obwohl er sich bescheiden immer im Hintergrund hielt, denn seine Person ins Rampenlicht zu stellen, war ihm völlig fremd. Er war es, der den Schachklub Tempelhof lange Zeit durch unermüdlichen Einsatz sowie ungezählte Geld- und Sachspenden „am Laufen“ gehalten hat.

Bereits 1964 erhielt er aufgrund seiner vielen Verdienst um den Verein die Ehrennadel des Schachklubs Tempelhof in Silber und 1976 dann in Gold, und 1981 wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Nachdem er aus gesundheitlichen Gründen die Last der Vereinsführung nach einem Jahrzehnt abgegeben hatte, wurde er 2001 schließlich zum Ehrenvorsitzenden des Schachklubs Tempelhof ernannt. Bis zum Schluss beteiligte er sich in dieser Funktion an der Vorstandsarbeit, indem er bei kritischen Fragen seine Meinung und Erfahrung in die Waagschale warf. Alle Ehrungen konnten aber nur den geringsten Teil seiner Aktivitäten wirklich würdigen.

Alfons hat sich auch lange Jahre um den Berliner Schachverband verdient gemacht, zunächst ab 1976 als dessen stellvertretender Vorsitzender und dann von 1978 bis 1984 als Vorsitzender. Zudem war er während dieser Zeit auch als Redakteur des Mitteilungsblattes des Berliner Schachverbandes tätig, das er nach einer Unterbrechung dann von 1986 bis 1988 erneut betreute. 1986 wurde ihm für seine Verdienste um den Berliner Schachverband dessen Ehrennadel in Gold verliehen. Es ist schier unglaublich, dass er das alles noch neben seiner anspruchsvollen beruflichen Tätigkeit als Inhaber eines Steuerbüros leisten konnte.

Seiner Todesanzeige war ein sehr treffend gewähltes Wort von Tagore vorangestellt:

Ich schlief und träumte, das Leben sei Freude.
Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht.
Ich handelte und siehe, die Pflicht ist Freude.

Das rief mir ein Gespräch mit Alfons ins Gedächtnis, das wir vor etwa knapp einem Jahrzehnt geführt hatten, und in dem es um die persönliche Einstellung zu verschiedenen Fragen des Lebens ging, wobei ich auf seinen eventuell bevorstehenden Ruhestand angespielt hatte .Da bestätigte er mir, natürlich nicht in diesen Worten, dass das, was anderen als Pflicht erscheint, für ihn ein Lebensinhalt war und dass er an – teilweise nutzlosen – Zerstreuungen völlig desinteressiert war. Das bezog sich sowohl auf seinen Beruf als auch auf seine ehrenamtliche Funktionärstätigkeit, und ich begann zu ahnen, welche Kraft ihn all die Jahre angetrieben hatte.

Alfons war nicht immer ein leichter und verbindlicher Partner, aber das lag wohl in erster Linie daran, dass er keine Zeit mit Nebensächlichkeiten verschwendete, sehr genau wusste, was er wollte, und immer sofort zum Kern der Sache vorzustoßen suchte. Das muss wohl auch so sein, wenn man ein solches Arbeitspensum, wie Alfons es sich – zum großen Teil zum Wohle anderer – aufgebürdet hat, bewältigen will. In der Gratulation zu seinem achtzigsten Geburtstag, in der ich seine vielen Verdienste nur sehr kurz streifen konnte, rief ich ihm zum Schluss zu: „Chapeau, lieber Alfons!“ Nun bleibt mir nur noch, mich vor seiner Person, seinem Lebenswerk und seinem Vorbild zu verneigen. Er wird mir unvergesslich bleiben, und damit stehe ich ganz sicher nicht allein!

Hans-Peter Ketterling