Elektronische Schachuhren – pro und contra

Elektronische Schachuhren – pro und contra

Hans-Peter Ketterling

22. Januar 2009

Die weithin diskutierte und teilweise schon realisierte Einführung der neuen FIDE-Bedenkzeiten erfordert zwingend elektronische Schachuhren, die man selbstverständlich auch für die herkömmlichen Bedenkzeitregelungen verwenden kann. Solche Uhren bieten eine Reihe interessanter Möglichkeiten, die für ihren Einsatz und ihre möglichst schnelle allgemeine Einführung sprechen. Es ist jedoch eine Illusion zu glauben, dass mit ihnen alles besser wird! Es gibt nämlich einige Schattenseiten, und so lohnt sich ein etwas genauerer Blick auf die mit der Einführung und Verwendung elektronischer Schachuhren verbundenen Vor- und Nachteile. Zuvor soll aber ein kurzer Blick zurück das Aufkommen des Gebrauchs von Schachuhren beleuchten.

Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren auch bei Turnieren mit internationaler Besetzung keine Schachuhren in Gebrauch, und es gab auch keine Bedenkzeitregelungen. Da ist es vorgekommen, dass der Turnierleiter feststellen musste, dass bei einer Partie beide Kontrahenten schliefen. Nachdem sich vor allem Staunton für eine Begrenzung der Bedenkzeit eingesetzt hatte, kamen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst Sanduhren in Gebrauch. Der Engländer Thomas Wilson konstruierte die erste Schachuhr, die zuerst beim Londoner Turnier 1883 eingesetzt wurde. Im 20. Jahrhundert waren der allgemeine Gebrauch von Schachuhren spätestens in dessen zweiten Hälfte die Regel, und vielfach wurden zwei Stunden für 40 Züge und dann je eine Stunde für jede weiteren 20 Züge gespielt. Es gab und gibt aber eine Reihe anderer Bedenkzeitregelungen, insbesondere mit verlängerten Bedenkzeiten in hochklassigen Turnieren. Der Gebrauch der Schachuhr ist im Artikel 6 der FIDE-Regeln beschrieben.

Jeder, der einen normalen Wecker stellen kann, kommt mit den mechanischen Schachuhren zurecht, die zwei so gekoppelte Uhrwerke enthalten, dass höchstens eines von beiden laufen,
man aber auch beide Uhren anhalten kann. Deutlicher ablesbare mechanische Blitzschachuhren, die eine übersichtlichere Zifferblatteinteilung aufweisen, kamen erst im letzten Viertel des
vorigen Jahrhunderts in umfangreicheren Gebrauch. Ältere Schachspieler können sich daher noch gut an die Zeiten erinnern, als mangels geeigneter Blitzschachuhren und um die normalen Schachuhren zu schonen,, die den rauen Blitzbetrieb vielfach weniger gut vertrugen, das berühmt-berüchtigte Fünf-Sekunden-Blitzschach gespielt wurde, bei dem der Wettkampfleiter mit Hilfe seiner Taschen- oder Armbanduhr alle fünf Sekunden mit dem Wort „Zug“ oder eine spe-iell präparierte Uhr mit einem Tonsignal die Aufforderung zu ziehen gab.

In den letzten Jahrzehnten wurden die althergebrachten Bedenkzeitregelungen zunehmend durch neue und flexiblere ersetzt. Dafür haben sich neben anderen Fischer und Bronstein eingesetzt, um nur zwei prominente Spieler zu nennen. Schon die Festlegung der Bedenkzeit von zwei Stunden für 40 Züge und einer weiteren halben Stunde für den Rest der Partie wirft bei mechanischen Uhren Probleme auf, da das Kriterium für die Zeitüberschreitung das Fallen eines bei der Zwölf angebrachten und vom Minutenzeiger gesteuerten Blättchens ist. Man muss also irgendwann die Uhr eine halbe Stunde vorstellen. Da gibt es Unsicherheiten, ob beide Uhren nach 40 Zügen oder erst beim Überschreiten der Zwei-Stunden-Marke einer der beiden Uhren vorgestellt werden sollen. Das kann man zwar festlegen, aber in der Praxis wissen die Spieler darüber oft nicht genau Bescheid und fangen möglicherweise an zu streiten.

Besteht Mitschreibepflicht, und das ist gemäß Artikel 8 der FIDE-Regeln bei normalen Turnierbedenkzeiten im Gegensatz zu Schnell- und Blitzschach meist der Fall, so gibt es Probleme in der Zeitnotphase, egal welche Zeitkontrolle – nach einer festgelegten Anzahl von Zügen oder zum Partieende – gerade ansteht. Vor allem weniger geübte Spieler kann das in zusätzliche Verwirrung stürzen, weil zu dem Druck, in kurzer Zeit den richtigen Zug finden zu müssen, auch noch die Probleme mit dem schnellen Mitschreiben kommen. Um das etwas zu mildern, wurden die Artikel 8.4 und 8.5 in das FIDE-Regelwerk aufgenommen.

Die Lösung vieler Probleme bieten elektronische Schachuhren, die seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts (ROCHADE 09/1984) zu inzwischen erschwinglichen Preisen verfügbar sind. Eine davon war die allerdings recht teure CHRONOS (u. a. ROCHADE 03/1984 und 04/1985), mit der ich übrigens heute noch gern Blitzschach spiele. Die Firma Novag brachte 1982 den Schachautomaten ROBOT ADVERSARY heraus, an den man einen Drucker und die Schachuhr QUARTZ CHESS CLOCK anschließen konnte. (Die Angelsachsen schreiben Quarz mit zusätzlichem „t“, das übrigens bei Importprodukten und dem Eindeutschen der jeweiligen Bezeichnung aus Nachlässigkeit oder Unkenntnis oft nicht weggelassen wird). Letztere konnte auch als normale Schachuhr verwendet werden. Interessant ist auch, dass zum Schachcomputer TASC R30, der über ein schönes flaches aber nicht ganz turniergroßes Holzbrett mit Figurenerkennung verfügte und heute nicht mehr verkauft, aber zu Liebhaberpreisen privat gehandelt wird, ein Steuermodul mit integrierter elektronischer Schachuhr gehört. Deshalb kann man mit diesem Gerät ganz hervorragend Blitzschach spielen, und das gegen einen Computergegner, der sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Schließlich brachte die Firma Excalibur, ein Ableger des Schachcomputererfinders Fidelity, schon vor mehr als zehn Jahren die mit 91 voreingestellten und fünf selbst programmierbaren Bedenkzeitmodi ausgestattete GAME TIMER CHESS CLOCK heraus, die auch schon Bonuszeiten beherrschte. Auch die bei uns vor rund einem Jahrzehnt herausgekommene und inzwischen recht verbreitete DGT-Uhr (DIGITAL GAME TIMER) ist flexibel einsetzbar und bietet ebenfalls die Möglichkeit, Bonuszeiten einzustellen.

Im Laufe der Jahre kamen dann weitere elektronische Schachuhren heraus, die schon wie die ersten Modelle mehrere fest voreingestellte Bedenkzeitmodi und teilweise auch die Möglichkeit boten, weitere manuell einzugeben. Ihre Preise sanken langsam in die Region guter mechanischer Schachuhren, womit sie aufgrund ihrer flexiblen Bedenkzeiteinstellmöglichkeiten für das Turnierspiel zunehmend interessant wurden. Schauen wir uns zunächst die Vorteile solcher Uhren an:

  • Gute elektronische Schachuhren bieten viele fest voreingestellte Bedenkzeitmodi, so dass sich die bisher am häufigsten benutzten Modi schnell aufrufen lassen, und sie lassen sich zudem auch auf neue Modi einstellen, auch mit Zeitvorgaben. Ein Zugzähler sollte zur Grundausstattung gehören.
  • Die Zeitmessung kann quarzgenau erfolgen und ist selbst bei Verwendung billiger keramischer Resonatoren zur Takterzeugung genauer als das bei mechanischen Uhren der Fall ist.
  • Bei Zeitüberschreitung steht prinzipiell ein mindestens sekundengenaues Kriterium zur Verfügung.
  • Bei Bedenkzeitmodi mit Bonuszeiten pro Zug kann Zeitnot leichter vermieden oder mindestens gemildert werden. Bei Turnieren mit Bonuszeiten von mindestens 30 Sekunden braucht die Mitschreibemöglichkeit nicht eingeschränkt zu werden und wird es auch nicht (Artikel 8.4b der FIDE-Regeln).
  • Bei Verwendung der CMOS-Technik und LCD-Anzeigen ist eine Betriebszeit von einigen hundert Stunden möglich und die Batteriespannungsanzeige – sofern vorhanden – signalisiert sich leerende Batterien im allgemeinen früh genug, so dass auch längere Turnierpartien noch problemlos zuende gespielt werden können.
  • Preise und Robustheit der heutigen elektronischen Uhren können vielfach mit guten mechanischen Schachuhren konkurrieren.
  • Es besteht bei einigen elektronischen Uhren die Möglichkeit, sie mit elektronischen Schachbrettern zu koppeln, was für echte Internet-Lifeübertragungen, wie sie heute beispielweise in der Schachbundesliga und bei den Schacholympiaden realisiert werden, sehr vorteilhaft ist.

Das alles sind unstrittig Vorteile, so dass sich elektronische Schachuhren aus diesem Blickwinkel für den Turnierbetrieb jeder Art und mit beliebigen Bedenkzeiten wärmstens empfehlen. Allerdings darf man nicht verkennen, dass jede Münze zwei Seiten hat. So auch hier, den Vorteilen stehen nämlich auch Problemquellen entgegen, die selten eingehend diskutiert werden. Prüfen wir zunächst die mit den genannten Vorteilen verbundenen möglichen Schwierigkeiten:

  • Ältere elektronische Uhren haben teilweise die neuesten Bedenkzeiten nicht fest voreingestellt. Bei manchen Uhren gehen manuell eingestellte Bedenkzeiten bei Batteriewechsel verloren. (Bei der Schacholympiade in Dresden war es erforderlich, alle Uhren manuell zu auf eine nicht fest voreingestellte Bedenkzeit zu programmieren. Das mussten zehn Helfer bei 400 Uhren erledigen, was zu einem nicht vernachlässigbaren Zeitaufwand führte.) Eine elektronische Uhr muss zudem eine Batteriefüllstandsanzeige sowie für eine Turnierpartie noch ausreichende Restbetriebszeit aufweisen, falls die Anzeige während einer Partie erscheint. Das muss mit verschiedenen Batterie- und Akkutypen gesichert sein. Es muss zudem die Möglichkeit geben, die Uhr durch Auswechseln der Firmware (PROM etc.) oder durch Einspielen neuer Software vom PC über eine geeignete Schnittstelle, z. B. die inzwischen weitverbreitete USB-Schnittstelle, auf den neuesten Stand zu bringen, also eine geänderte bzw. verbesserte Bedienung und neue fest voreingestellte Bedenkzeitmodi zu realisieren.
  • Arbeitet die Uhr intern mit einem Sekundentakt, so kann beim Umschalten eine Totzeit bis zu einer Sekunde entstehen, was im Blitzschach nicht tolerabel ist. Solche Uhren sind tatsächlich auf den Markt gekommen.
  • Das Signalisieren einer Zeitüberschreitung erfolgt primär mit dem Anzeigen der Restzeit null. Zusätzliche optische und akustische Signale – Zusatzanzeigen im Display, Zusatz-LEDs oder Signaltöne – sollen in den Fällen abgeschaltet werden können, in denen der Gegner dessen, der die Zeit überschritten hat, die Partie erst nach Reklamation gewinnt, hierfür sind insbesondere die FIDE-Anhänge B7 bis B9 von Interesse. Es ist nämlich nicht vorgesehen, dass die Spieler auf eine Zeitüberschreitung durch besonders auffällige optische oder akustische Signale hingewiesen werden.
  • Die Gewährung von geeigneten Bonuszeiten pro Zug vermeidet meist zwar extreme Zeitnot und gestattet in der Regel das komplette Ausspielen einer Partie und das Mitschreiben bis zum Schluss. Weniger geübte Spielern haben aber beim schnellen Mitschreiben trotzdem Probleme, die sie verwirren können, insbesondere wenn sie nur noch im reinen Bonuszeitbereich spielen müssen, weil die normale Bedenkzeit aufgebraucht ist. Zeitnotprobleme werden durch Bonuszeiten zwar gemildert aber nicht komplett vermieden.

Das ist aber noch nicht alles, denn eine ganze Reihe zusätzlicher Punkte wird kaum je erwähnt, geschweige denn genauer untersucht und berücksichtigt:

 

  • Die Anschaffung neuer elektronischer Uhren stellt viele Vereine vor nicht unerhebliche finanzielle Probleme, welche die möglicherweise in einigen Vereinen bestehenden Probleme aufgrund jüngst erfolgter oder noch zu erwartender Mieterhöhungen verschärfen. Das erfordert großzügige Übergangsfristen, die mindestens fünf Jahre betragen sollten. (Ich kenne einen Schachverein, den Berliner SKT 1931, der bei knapp 70 Mitgliedern über 50 normale Schachuhren und zusätzlich 30 Blitzuhren verfügt. Die Anschaffung 50 elektronischer Uhren zu je 40 bis 70 Euro würde insgesamt etwa 2.000 bis 3.500 Euro kosten, mehr als den halben Jahresetat. Bei günstigem Rabatt würde sich das etwas, aber nicht übermäßig reduzieren.)
  • Viele Vereine haben größere Bestände mechanischer Uhren, die damit praktisch zu Schrott erklärt werden, obwohl die meisten dieser Schachuhren noch in Ordnung sind. Die einzige Chance, den Schaden in Grenzen zu halten, besteht darin, sie preiswert an interessierte Amateure abzugeben, und die muss man erst einmal in genügender Anzahl finden.
  • Bei Turnieren müssen genügend Helfer anwesend sein, die sich mit der Bedienung der Uhren gut auskennen, denn viele Spieler werden das nicht sobald können – und einige überhaupt nicht – zumal die Bedienung verschiedener Uhrentypen unterschiedlich ist. Die Uhren müssen auch von den Spielern einfach bedienbar sein, sonst werden sich Bedienungsprobleme und davon eventuell ausgelöste Streitfälle häufen. Wie sich in der Praxis bereits gezeigt hat, kann selbst das bloße Anhalten der Uhren durch die Spieler in Streitfällen bei Fehlbedienung zum Verlust aller in der Uhr gespeicherten Informationen über den Spielstand einer Partie führen. Das Auswechseln einer defekten Uhr und das Eingeben des Bedenkzeit- und Zugzählerstandes während einer laufenden Partie verursachen zusätzliche Probleme. Das Vergessen des Uhrendrückens oder das aus Nervosität gelegentliche falsche Drücken und wieder „Zurückdrücken“ hat falsche Zugzählerstände zur Folge, bei deren Korrektur die Spieler oft überfordert sind.
  • Schließlich muss für eine geplante Anschaffung mehr als ein Uhrentyp mit den geforderten Eigenschaften zur Verfügung stehen, um die Monopolstellung eines einzelnen Herstellers zu vermeiden und angemessene Preise zu sichern.
  • Die Uhren müssen so robust sein, dass sie den mitunter auftretenden rauen Spielbetrieb, insbesondere beim Blitz- und Schnellschach, problemlos verkraften. Sie müssen sowohl das „Draufschlagen“ als auch das Fallen vom Tisch klaglos überstehen, wobei schlechte Batteriekontakte zu kurzzeitigen Spannungsunterbrechungen führen können, welche die Uhr möglicherweise „aus dem Tritt bringen“; andernfalls kann man die Uhren nur als Wegwerfprodukte behandeln.
  • Defekte Uhren sollten preiswert zu reparieren sein, denn auch die Elektronik hält nicht ewig, Displays mögen zu harte Stöße nicht besonders und auslaufende Batterien können schnell die Batteriekontakte ruinieren und die Uhr dadurch unbrauchbar machen.
  • Man muss den gleichen Uhrentyp auch jahrelang nachkaufen können, wenn man den Bestand nach einiger Zeit aufstocken oder defekte und nicht mehr reparierbare Uhren ersetzen möchte. Mindestens müssen die Nachfolgemodelle den Vorgängern im Design und der Bedienbarkeit nahe kommen.

Wie die vorstehenden Punkte aufzeigen, müssen die beim Fassen der Beschlüsse zur Einführung elektronischer Schachuhren involvierten Leute alle die Materie und insbesondere die sich möglicherweise ergebenden Probleme hinreichend genau kennen. Leider fehlt ihnen jedoch oft das erforderliche technische und praktische Hintergrundwissen, denn sonst könnte eine Neuerung wie die Einführung elektronischer Schachuhren nicht vielfach kritik- und sorglos, teilweise geradezu euphorisch akzeptiert werden.

Es geht hier ganz gewiss nicht darum, die Einführung elektronischer Schachuhren madig zu machen, sondern vor allem darum, mögliche Schwierigkeiten aufzuzeigen, damit rechtzeitig dafür gesorgt werden kann, dass deren Auswirkungen möglichst gering sind und man nicht ungewollt die Nachteile der mechanischen Schachuhren gegen noch größere ungeeigneter elektronischer Schachuhren eintauscht. Insbesondere ist zu überlegen, ob überhaupt und frühestens ab wann ihre Benutzung obligatorisch sein soll. Ich plädiere ganz eindeutig für die Einführung geeigneter elektronischer Schachuhren, empfehle jedoch angemessene Übergangszeiten bei der Festschreibung von Bedenkzeitmodi, die mit mechanischen Uhren nicht realisierbar sind. Wie heißt es so schön: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!“

Hans-Peter Ketterling